50JahreStSebastian

Eugen Biser Noch stand sie auf freiem Feld, die von Otho Orlando Kurz und Eduard Herbert erbaute Kirche St. Sebastian, als sie am 10. November 1929 eingeweiht wurde. Doch schon übers Jahr war sie von einem Wohngebiet umgeben. Kirche im Wandel - Gewandelte Kirche Wie für Reisende in parallel fahrenden Zügen die Bewegung zum Stillstand zu kommen scheint, fällt es den Zeugen der kirchen– geschichtlichen Szene schwer, den in den letzten Jahrzehnten ein– getretenen Wandel wahrzunehmen, weil die sich ständig wan– delnde Welt kein objektives Bild aufkommen läßt. Dennoch: noch nie erlebte die Kirche in ihrer zweitausendjährigen Ge– schichte einen so tiefgreifenden Umschwung. Wer sie verstehen will, muß sich darüber Rechenschaft zu geben suchen, gleichviel, ob er ihrem Wandel mit Genugtuung oder Skepsis gegenüber– steht. Vergegenwärtigen wir uns zunächst die vorkonziliare Kirche der beiden letzten Piuspäpste! Monolithisch, geschlossen, straff orga– nisiert, glich sie in der Sicht vieler dem die Nationen überragen– den Siegeszeichen, von dem das Erste Vatikanum gesprochen hatte. Nur wenigen wurde klar, daß die vielgerühmte Geschlos– senheit dieser Kirche durch eine bedenkliche Seihstabschließung nach außen und durch repressive Maßnahmen im Innem erzielt wurde. So verständlich diese Haltung während der Konfronta– tion mit den großen Diktaturen war, beschwor sie doch die 2 Gefahr herauf, daß sich gerade die sensiblen und urteilsfähigen Geister enttäuscht und verbittert von ihr abwandten. Mit Defen– sivstrategien ließ sich die Herausforderung durch die aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Welt nicht länger bewäl– tigen. So gesehen war das Pontifikat Johannes XXIII. mit der Einbe– rufung des Zweiten Vatikanischen Konzils ein Ereignis, das nach der Überzeugung vieler den Beistand des Gottesgeistes sichtbar bewies. Mit ihm kam ein Prozeß von unabsehbarer Tragweite in Gang. Man bedenke: ein Konzil, das bewußt auf Dogmatisierun– gen verzichtete, das für den aktiven Dienst an der Welt, für öku– menische Arbeit und für Religionsfreiheit eintrat, das die wissen– schaftliche Forschung bejahte und zum Dialog mit Andersdenken– den aufrief! Das war eine beispiellose Neuheit im Gang der Kirchengeschichte, die als solche zwar Gefahren heraufbeschwor, gleichzeitig aber auch zu den größten Hoffnungen berechtigte. Was aber noch wichtiger war: zum ersten Mal setzte sich damit die kirchliche Führung an die Spitze der Reformbewegung, die sonst immer

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